Ein besonderer Tag mit Prof. Dr. Bert Hölldobler

 

Es war längst überfällig, den weltweit führenden Verhaltensbiologen, Soziobiologen und Evolutionsökologen Prof. Dr. Bert Hölldobler, der gleichzeitig der berühmteste Abiturient der Schule ist, an seine alte Wirkungsstätte einzuladen. Zum einen wollte die Schulfamilie Herrn Hölldobler anlässlich seines 80igsten Geburtstags für sein Lebenswerk ehren. Das Gymnasium Marktbreit ist stolz darauf, dass Bert Hölldoblers internationale Karriere mit seinem Abitur im beschaulichen Marktbreit begonnen hat. Zum anderen wollten die Schülerinnen und Schüler den Forscher als Zeitzeugen befragen, hatte er doch die Schule, Deutschland wie die USA in einer Zeit erlebt, die für die meisten atmosphärisch kaum mehr greifbar ist. Zudem ist Prof. Hölldobler den Schülerinnen und Schülern ein Vorbild, nicht nur auf Grund seiner Erfolge – der Pulitzer-Preis, ein Lehrstuhl in Harvard, Ordinarius in Würzburg, zahllose Auszeichnungen, die Liste seiner Verdienste sei sehr lang. Vielmehr noch beeindruckt an seinem Leben, dass es ihm geglückt ist, seinen späteren Beruf mit seinen ureigenen Interessen zu verschmelzen. Sein Leben zeigt den Schülerinnen und Schülern, dass es möglich ist, seine Träume zu leben.

Eindrücke vom Schulleben

Zunächst erhielt Prof. Dr. Bert Hölldobler Einblicke in das breit aufgestellte naturwissenschaftlich-technologische Forschen am Gymnasium Marktbreit. Über den Unterricht hinaus beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler aus den verschiedenen Jahrgangsstufen in der Forscherklasse, in der Forscherakademie, in den Robotikkursen und in der Imkergruppe mit Fragen aus den Fachbereichen Biologie, Chemie, Informatik sowie Natur und Technik. Prof. Hölldobler begutachtete den Schulhonig und lobte die wertvolle Arbeit, die die Nachwuchsimker zur Pflege und Arterhaltung der Bienen betreiben. In der Molekularküche kostete er diverse synthetisch hergestellte Fruchtaromen. Schließlich beriet er die Schülerinnen und Schüler der Robotikkurse, die sich mit der Frage auseinandersetzten, inwiefern mutierte, also gewissermaßen nicht artgerechte, nachaktive Bienen dafür sorgen könnten, die Bienenpopulationen weltweit zu stabilisieren. Den Sechstklässlern, die wie das P-Seminar Bionik Schautafeln zu seinem Leben und Forschen im Schulhaus gestaltet hatten, stand er geduldig Rede und Antwort für all ihre Fragen. Der Forscherklasse schaute er beim Mikroskopieren über die Schulter und gab wertvolle Tipps.

Auf eine kurze Kaffeepause mit den Fachkolleginnen und Fachkollegen aus den Naturwissenschaften folgte als Höhepunkt des Tages ein über neunzigminütiges Podiumsgespräch, moderiert von Selina Herbst, Linus Stabenow, Norina Michel und Nadja Nolte. Mit kleinen Präsenten bedankten sich im Namen der Schulfamilie der Elternbeirat, die SMV wie der Personalrat am Ende des Gesprächs bei Prof. Dr. Hölldobler, der seinerseits der Schulbibliothek signierte Exemplare seiner zahlreichen großen Publikationen zukommen ließ.

Podiumsgespräch

Zunächst wurde Prof. Hölldoblers Kindheit und Jugend beleuchtet. Die Familie Hölldobler zog 1938/39 von Erling-Andechs nach Ochsenfurt, denn der Vater wurde Chefarzt am damaligen Ochsenfurter Kreiskrankenhaus. Er war damal 34 Jahre alt und nach Kriegsausbruch wurde er als junger Chirurg sehr bald eingezogen und ein älterer Kollege vertrat ihn am Ochsenfurter Krankenhaus. Der Vater hatte bis November 1944 an der Ostfront in Karelien (Finnland) kriegschirurgische Abteilungen geleitet. Auf Grund schwerer Verwundungen kam er Ende 1944 nach Deutschland zurück. Bert Hölldobler und seine ältere Schwester waren mittlerweile mit der Mutter nach Weimar gezogen, denn die Eltern hatten sich getrennt. Den Anblick von Kolonnen von abgemagerten Gefangenen des Konzentrationslagers Buchenwald, die sich gelegentlich entlang der heutigen Trierer Straße in Weimar schleppen mussten, empfand er als Kind sehr deprimierend. Einige dieser Bilder seien tief in sein Gedächtnis eingebrannt, berichtete Hölldobler. Nach dem Tod seiner leiblichen Mutter, Anfang 1947, waren Bert Hölldobler und seine Schwester auf abenteuerliche Weise wieder nach Ochsenfurt gekommen, und lebten wieder beim Vater, mit dem die Kinder auch während der Kriegszeit in engem Kontakt standen. Nach den Erfahrungen als Kriegschirurg wurde der Vater Landarzt, wie Hölldobler betonte, einer dieser heute nahezu ausgestorbenen Landärzte, der auch Knochenbrüche im Haus der Patienten in Ochsenfurt und den Dörfern ringsum behandelte. Trotz der langen Jahre im schönen Frankenland, sei seine Familie immer stark südbayrisch geprägt gewesen, so sei es auch heute noch, bis auf seinen jüngeren Bruder, der als überzeugter Rhöner in Bischofsheim lebt.

Bert Hölldobler berichtete, dass er auf Grund großer Lücken aus seiner Grundschulzeit in den Wirren des Kriegs die Aufnahmeprüfung am Gymnasium Marktbreit dem Wohlwollen der Lehrkräfte und dem Engagement seiner zweiten Mutter zu verdanken habe. In den ersten drei Schuljahren am Gymnasium tat er sich schwer, bis er sich allmählich dem gymnasialen Anspruchsniveau angenähert hatte. Angesprochen auf den Geist, der nach 1947 am Gymnasium Marktbreit herrschte, berichtete er sehr eindrucksvoll, wie ihn die in den Folgejahren an die Schule kommenden jungen Lehrkräfte nachhaltig geprägt und begeistert hatten. Er unterstrich, dass er dank zur damaligen Zeit moderner Lehrmethoden zu einem aufrechten und verantwortungsbewussten Demokraten erzogen worden sein. Das Gymnasium Marktbreit habe ihn sehr gut auf sein Studium vorbereitet.

In seiner beruflichen Laufbahn steuerte er zunächst das gymnasiale Lehramt an. Er legte das Erste Staatsexamen für die Fächer Biologie, Chemie und Geographie ab. Dass er dann in die Forschung und nicht in die Schule ging, verdankt er einer Reihe glücklicher Fügungen und wohlmeinender Mentoren, die ihn akademisch unter ihre Fittiche nahmen. Es war ihm wichtig darauf zu verweisen, dass er sich in seiner Lehrtätigkeit an der Universität immer als Forscher und Lehrer zugleich empfunden hat und dass ihm der Kontakt mit den Studenten bis heute sehr am Herzen liegt.

Prof. Dr. Hölldobler betonte, dass seine Universitätskarriere sehr stark von den positiven Dingen bestimmt war, die ihm gewissermaßen zugefallen sind. Sein Ruf nach Harvard etwa war für ihn wie vielleicht auch für die Fachwelt eine Überraschung. Er schilderte, dass das Komitee der Bostoner Eliteuniversität entweder sehr berühmte Kollegen anwarb oder sich für sehr vielversprechende junge Nachwuchsforscher entschied. In seinem Falle fiel die Entscheidung gegen den berühmten Kollegen und für ihn, das weniger beschriebene Blatt aus Deutschland. Nach fast zwanzig Jahren in Harvard wieder nach Würzburg zurückzukehren, fiel der Familie nicht leicht, weil sie alle in den USA sehr gut vernetzt und eingelebt waren. Doch die Gelegenheit, das erste Biozentrum Deutschlands mit flachen Hierarchien und vielen Gastforschern nach amerikanischem Vorbild in Würzburg erschaffen zu dürfen, war für ihn zu verlockend.

Anschließend berichtete Prof. Dr. Hölldobler ausführlich und äußerst kurzweilig von seinen Forschungen und von seiner zugleich produktiven wie kontroversen Zusammenarbeit mit Prof. Wilson, mit dem er sein mit dem Pulitzer-Preis gekröntes Werk „The Ants“ geschrieben hatte. Erhellend waren auch seine Spiegelungen zwischen dem menschlichem Verhalten und dem von Ameisenpopulationen. Immer wieder wurde er gefragt, welche Rückschlüsse er auf Grund seiner Verhaltensforschungen an staatenbildenden Insekten auf angemessenes menschliches Verhaltens ziehen würde. So erklärte er eindrucksvoll, was sich etwa Logistiker von der Arbeitsteilung und Selbstorganisation der Ameisen abschauen können. Er erachtete gleichzeitig das aggressive Vorgehen gegen populationsfremde Individuen, das Ameisen auszeichnet, als im menschlichen Kontext unangebracht. Der Mensch sei zwar genetisch gewissermaßen in der Steinzeit, habe sich aber intellektuell insbesondere in den Kulturtechniken hochentwickelt. Das erlaube dem Menschen einen gänzlich anderen Umgang mit fremden Artgenossen oder mit Populationsvielfalt. Prof. Dr. Hölldobler verwies darauf, dass einerseits egalitär organisierte Sozialsysteme am besten funktionieren und dass andererseits, da Menschen in der Regel nicht um mangelnde, lebenserhaltende Ressourcen streiten müssen, die genetische Vielfalt einer menschlichen Population ihre eigentliche Stärke darstellt. Insofern wäre die Vorstellung von einer multikulturellen menschlichen Bevölkerung aus evolutionsbiologischer Sicht die rechte Antwort etwa auch auf die drängenden zeitpolitischen Fragen.

Auf seine Erfolge und Misserfolge als Forscher angesprochen, erläuterte Prof. Hölldobler sehr anschaulich, dass für einen Wissenschaftlicher Fehlschläge weniger ein Problem darstellen, weil sie ihrerseits ebenfalls verwertbare Ergebnisse liefern. Neugierde und Kreativität seien der Urgrund erfolgreicher Forschung, Erfolge gewissermaßen nur ein erfreuliches Nebenprodukt.

Die Schüler wollten schließlich von ihm wissen, welche seiner vielen Auszeichnungen für ihn den höchsten Stellenwert hatte. Dabei verwies er auf zwei Ehrungen. Der Leibnitz-Preis, der ihm 1990 von der deutschen Forschungsgemeinschaft verliehen wurde, sei ihm sehr wichtig, da er eine Art Nobelpreis der Deutschen sei und er mit dem Preisgeld zahlreiche Gastforscher und Gastdozenten an das Biozentrum Würzburg hatte locken können. In den USA habe er sich am meisten dadurch geehrt gefühlt, dass er in die National Academy aufgenommen wurde, weil die Mitglieder dieses Gremiums einen großen politischen Einfluss auf die Hochschulpolitik in den USA haben. Nach seinem Lieblingspräsidenten in den USA gefragt, verwies Prof. Dr. Hölldobler, ohne zu zögern, zunächst auf Jimmy Carter wegen seiner für die damalige Zeit erstaunlichen Weitsicht in umweltpolitischen Fragen wie auf Lyndon B. Johnson. Der Nachfolger Kennedys habe die USA innenpolitisch von allen Präsidenten am nachhaltigsten geprägt. Die derzeitigen innenpolitischen Verhältnisse bewertete Hölldobler mit Sorge.

Abschließend wurde Prof. Dr. Hölldobler um Ratschläge für die Schülerschaft von heute gebeten. Er verwies auf die große Bedeutung einer breiten Allgemeinbildung und schloss hier ganz ausdrücklich auch die musisch-künstlerischen Fächer und Sport mit ein. Er unterstrich, dass er in seinem Leben davon profitiert hat, dass er stets einen breiten Zugang zu gesellschaftlichen Entwicklungen gesucht hat. So waren ihm neben der Wissenschaft und Politik der Sport, die Musik und die Kunst stets eine Herzensangelegenheit geblieben. Gerne erinnerte er sich an seine Zeit als Turner in Ochsenfurt, wo man sich quer durch alle Gesellschaftsschichten beim Sport zu einer engen Gemeinschaft zusammenfand. Er male selbst immer noch gerne, besonders Aquarelle, und habe die Entwicklung der modernen Kunst stets auch aktiv, etwa durch viele Ausstellungsbesuche mitverfolgt. Er beherrsche zwar kein Instrument, könne sich aber ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Den Schülerinnen und Schülern gab er den Rat, ihren Blick ebenfalls für die schönen Dinge des Lebens zu weiten. Beruflich sei es am wichtigsten, sich von seinen persönlichen Neigungen und Stärken leiten zu lassen. Das sei der beständigste Garant für Erfolg.

Friedhelm Klöhr